Blind durch´s Netz

Es ist erstaunlich. Blinde Menschen können sich ohne Weiteres im Internet bewegen. Obwohl es in erster Linie ein visuelles Medium ist. Sie bauen Webseiten, sie schreiben Blogs, sie twittern und noch vieles mehr. Das bietet ihnen unglaubliche Chancen. Privat, beruflich und gesellschaftlich.
Das Web 2.0 ermöglicht Blinden, sich in eine schnell wachsende Web-Gemeinschaft zu integrieren, Einfluss zu nehmen und sie mitzugestalten. Und dies in einem größeren Umfang, mit weniger Hindernissen und Vorurteilen als es in der „realen Welt" der Fall ist. Wer hätte es gedacht, der Begriff „Social Web" wird seinem Namen dank Blogs, Twitter & Co. gerecht.

Der „Klaviermüller"
Jimdo, Anbieter eines Webseiten-Baukastens, ist durch den User „Klaviermüller" auf das Thema „Blinde am PC" aufmerksam geworden. Roland Müller ist blind und von Beruf Klavierstimmer. Um auch im Internet präsent zu sein und seine Dienste in und rund um Berlin anbieten zu können, hat er sich für Jimdo entschieden und eigenständig die Seite www.klaviermueller.de erstellt. Nachdem ihm bei einer Support-Anfrage geholfen wurde, schrieb er an das junge Team:

 

„Ich freue mich darüber, mit eurem Projekt Fortschritte, vor allem eigenständig, machen zu können. Habe schon mehreres getestet [...] Vielleicht finden sich ja im Laufe der nächsten Zeit noch Vorschläge zur barrierefreieren Benutzung. Aber schon ganz klasse so. Gruß Klaviermueller".

Barrierefreie Nutzung - das entscheidende Stichwort. Von barrierefreien Seiten oder Programmen spricht man, wenn sie für Blinde bzw. für behinderte Menschen im Allgemeinen geeignet sind. Bereits bei der Programmierung muss, im Fall von Blinden, darauf geachtet werden, dass Bilder mit Textinhalt oder Flash-Animationen in schriftlicher Form erläutert werden. Vor allem, wenn es sich dabei um die Navigations-Elemente einer Webseite handelt. Denn kann ein blinder User mit seinen Hilfsmitteln das Seiten-Menü nicht lesen oder erkennen, so stellt dies eine enorme Barriere für ihn dar. Nur ein Beispiel - wirklich barrierefreie Seiten müssen sich darüber hinaus durch viele weitere Punkte auszeichnen.

 

Jimdos Web-Baukasten wurde nicht speziell für blinde Menschen konzipiert. Ursprünglich war er als einfacher und günstiger Weg zur eigenen Webpräsenz gedacht. Wer mit Office-Programmen umgehen kann, der sollte auch eine Webseite bauen können - so das Prinzip dahinter. Dass der Baukasten nun auch für Blinde geeignet ist, kann als großes Kompliment für eine saubere Programmierung gesehen werden.

 

Der „Klaviermüller" konnte also mit dem Online-Baukasten seine eigene Webseite verwirklichen. Inklusive einem Bereich mit Stimm- und Pflege-Tipps rund ums Klavier, einem Gästebuch mit lesenswerten Einträgen, einer Preisseite für sein gewerbliches Angebot - und noch vielem mehr. Doch Roland Müller ist nicht der einzige Blinde, der Jimdo im Web 2.0 aufgefallen ist...

 

Blind-PR - Heiko Kunert
Heiko Kunert ist ein Paradebeispiel für einen aktiven Blinden im Web: Er ist Blogger, Twitterer und betreut die Pressearbeit des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg e.V. Außerdem spielt er Theater. Wer seinen Blog (nicht auf Jimdo basierend) verfolgt und seine Twitter-Einträge liest, bekommt einen bemerkenswerten Einblick in das Leben eines blinden Menschen - und erahnt sehr schnell, welche kommunikativen Möglichkeiten sich für ihn als engagierten PR-Mann damit eröffnen. Twitter und Blogs sind äußerst effektive Kommunikationskanäle - das ist nichts Neues. Doch offenbar können blinde Menschen über diese Kanäle in direkten und meist vorurteilsfreien Kontakt mit anderen Usern treten. Das Web 2.0 bietet hierfür alle Möglichkeiten. Heiko Kunerts Twitter-Einträge erreichen über 1.000 Menschen täglich - den Blog nicht mitgerechnet. Er informiert, er regt zum Nachdenken und zum Diskutieren an. Man male sich aus, wie es wäre, wenn 100, 1.000 oder noch mehr der 150.000 Blinden und 500.000 sehbehinderten Menschen in Deutschland twittern und bloggen würden...

 

Blinde am PC - wie geht das?
Die häufigste Methode, um Bildschirminhalte wiederzugeben, ist die akustische Ausgabe. Ein Texterkennungsprogramm, das die geschriebenen Wörter und Sätze in Sprache umsetzt - und die Ausgabe über eine sogenannte Braille-Zeile (Louis Braille, Erfinder der „Blindenschrift"). Dabei handelt es sich um eine Vorrichtung, die den Bildschirminhalt in der Punktschrift wiedergibt. Für das Schreiben wird eine PC-Tastatur verwendet. Für das Zusammenspiel zwischen PC, Monitor und Braille-Zeile sorgt eine Spezial-Software - der Screen-Reader. Bemerkenswert: Blinde arbeiten gänzlich ohne Maus - sie steuern alle Funktionen über die Tastatur (weitere Informationen hierzu u.a. beim BfW Würzburg).

 

Blinde als neue Zielgruppe oder gesellschaftlicher Prozess?
Facebook, das mit über 600 Millionen Mitgliedern größte soziale Netzwerk, hat sich mit der amerikanischen Blindenvereinigung AFB zusammengeschlossen und seine Plattform blindengerecht gestaltet. Der Handy-Hersteller Nokia arbeitet an einem Braille-Reader für seine Mobilfunkgeräte. Beim Trend-Thema E-Book-Reader gibt es ebenfalls erste Konzepte für blinde Anwender. Sie sollen Texte in Braille-Schrift ausgeben können - gewissermaßen ein Kindle für Blinde.


Was bedeutet all das? Sind blinde Menschen die neue Zielgruppe der Marketingabteilungen? In jedem Fall zeigen diese Entwicklungen eines: Blinde werden im Web 2.0 nicht als Randgruppe gesehen, sondern in aktuelle Themen, wie Social Networks und neue Web-affine Produkte einbezogen. Und wer zu einer relevanten Zielgruppe gehört, der ist wichtig.


So bekommt der Begriff "Social Marketing" eine gänzlich neue Bedeutung. Steht es doch für die Gleichbehandlung von Blinden im Netz - als ernstzunehmende Zielgruppe. Und wie anfangs gesagt, wer hätte gedacht, dass „In"-Begriffe wie „Social Web" und „Social Marketing" ihrem Namen eines Tages alle Ehre machen...

 (TT)

 

Lesenswerter Artikel von Heiko Kunert: Blind im Web: Ein Stück Normalität

 

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Emilian (Donnerstag, 29 April 2010 13:23)

    Ich freue mich sehr darauf, dass die blinden Menschen dieselben Möglichkeiten wie alle andere Leuten haben können.